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Donnerstag, 29.08.02: Bad Gandersheim - Thale (Harz)
Morgens
das nasse Zelt zusammenlegen und zum Schluss in die nasse Radlerhose hinein
- brrr! Aber schnell wird aus kalt und nass erst warm und nass und dann warm
und trocken, das Synthetikzeugs trocknet ja schnell. Mein niederländischer
Nachbar hat die Nase noch nicht aus seinem Zelt gesteckt, als ich um acht Uhr
den Platz verlasse. Zuerst zurück in den Ort, Fotos schießen und
Proviant fassen. Der Dom mit seinen zwei achteckigen Türmen ist leider
halb zugebaut von der Tribüne der wenige Tage zuvor beendeten Domfestspiele.
Gegen halb neun verlasse ich Bad Gandersheim auf dem R1, der hier auf Wirtschaftswegen
und Nebenstraßen verläuft. Die Beschilderung ist nicht überall
vollständig, aber mit etwas Suchen und unter Zuhilfenahme der Karte komme
ich voran. Es
geht bergauf und bergab, aber es fährt sich leicht. Liegt wahrscheinlich
am Trainingseffekt. Dunstig ist es bis in die Mittagsstunden. Schnell stoße
ich auf eine geänderte Beschilderung: Die radfahrende Hexe signalisiert,
dass ich den Harzrandweg erreicht habe, der jetzt zusammen mit dem R1 nach Osten
weiterführt. Der Radweg soll lt. Karte eigentlich unmittelbar an einer
Bahnlinie entlang führen, von der jedoch keine Spur zu sehen ist. Habe
ich mich verfahren? Schließlich steige ich vom Rad, mache zwei Schritte
seitwärts ins Gebüsch und stehe unvermittelt auf einem völlig
überwucherten Bahndamm. Hier fährt schon lange kein Zug mehr!
Auf der Höhe von Langelsheim geht es so richtig in den Harz hinein, deswegen
wechsele ich faul auf die B82 alt. Auf gutem Asphalt fährt es sich einfach
leichter! Erster
Stop in der 1000jährigen Kaiserstadt Goslar. Die Altstadt wirkt mittelalterlicher
als das leicht renaissancig angehauchte Bad Gandersheim. Der Dom ist beeindruckend,
leider finde ich keine geeignete Fotoposition. Ostwärts heraus aus der
Stadt habe ich mir auf einem öffentlichen Stadtplan eine wirklich schöne
Route ausgeguckt, aber offensichtlich verfehlt - ich lande auf völlig überwachsenen,
teilweise sumpfigen Waldwegen und rutsche steile Schotterwege mit blockierenden
Rädern herunter. Über irgendein weitläufiges Betriebsgelände
mit den entsprechenden "Betreten verboten"-Schildern erreiche ich
wieder die Zivilisation. Auf der Bundesstraße fahre ich weiter bis Bad
Harzburg. Eine lange, verkehrsberuhigte Straße führt ins Zentrum
hinein. Es sieht fast aus wie die Promenaden in den Ostseebädern: Läden,
Cafes, Restaurants, viel Grün. Macht einen freundlichen Eindruck. Danach
wieder zurück auf die alte B6 bis Wernigerode,
aber fast immer auf straßenbegleitenden Radwegen. Kaum in der Stadt angekommen
höre ich Bahnschrankengebimmel, einen Pfiff und treffe auf die dampfgetriebene
Harzer Schmalspurbahn. Toll! In der Innenstadt herrscht richtig viel Touristengewimmel.
Hier hätte ich gerne etwas mehr Zeit verbracht, aber nach dem obligatorischen
Rathausfoto zieht es mich weiter. Meinen inoffiziellen Wettbewerb "schönstes
Rathaus auf der Radtour" würde das Rathaus von Wernigerode übrigens
gewinnen. Das Schloss, das über der Stadt thront, bewundere ich nur von
Weitem.
Wieder auf die B6 zurück, diesmal ohne Radweg, aber mit empfindlich viel Autoverkehr. Ein Teilstück ist auf meiner Radkarte sogar als "nicht empfehlenswert für Radfahrer" ausgewiesen, und das ist es tatsächlich nicht. Ich fühle mich halt doch etwas unbehaglich, wenn mir wiederholt eine zischende LKW-Druckluftbremse in den Nacken pustet. Aber so etwas macht Beine! Ich komme rasch voran. Der Abzweig nach Thale führt mich an der "Teufelsmauer" entlang, so eine Art Restberg am Harzrand. Thale selber sieht etwas schäbig aus. Erst jetzt wird mir klar, dass ich schon längst unbemerkt die "Zonengrenze" passiert habe. Bevor ich mich den Berg zur JH heraufwuchte, rufe ich erst mal dort an, und bekomme prompt die Auskunft, dass leider kein einziges Bett mehr frei sei. Und campen im Garten ist ebenfalls völlig unmöglich. Nun ja. Der als Ausgleichsquartier genannte "Wilde Jäger" ist verriegelt und verrammelt und sieht ziemlich pleite aus. Einen Campingplatz gibt es weit und breit nicht, der nächstgelegene liegt mir zu hoch im Harz. Aber es gibt eine Touristeninfo mit Zimmervermittlung! Also bleibe ich heute im Einzelzimmer mit Dusche, Kühlschrank und Fernseher. Luxus pur, mit Frühstück für 22 € in der putzig klingenden Rübchenstaße. Nach einer Empfehlung der Vermieterin gehe ich in die "grüne Tanne" (Roßtrappenstr. 10/11) essen und werde positiv überrascht. Spezialität ist hier Pferdefleisch, und mein Steak ist wirklich sehr schmackhaft. Kompliment an den Koch und den Gaul. Anschließend beschert mir ein Anruf in der JH Dessau ein freies Bett für die darauf folgende Nacht, der Wetterbericht ist gut, die Beine freuen sich auf den nächsten Tag, und mein Fahrrad zerrt schon wieder ungeduldig weiter - besser geht's kaum!
102 km, Netto-Durchschnitt 18,2 km/h (Verkehrsreiche Straßen und Ortsdurchfahrten bremsen halt doch)
Freitag, 30.08.02: Thale (Harz) - Dessau
Kurz
nach acht wieder auf der Piste, diesmal ohne jede weitere Verzögerung durch
Ortsbesichtigung oder Essenseinkauf. Letzteres habe ich schon am Vortag erledigt.
In Thale begegne ich zwar der R1-Beschilderung, aber der R1 macht noch einen
riesigen Umweg am Harzrand entlang, bevor er endlich nach Norden führt.
Deswegen fahre ich erst auf Straße, dann auf kilometerlangen Feldwegen
Richtung Osten und sehe den Harz langsam hinter mir zurückweichen. Mit
etwas Abstand umrunde ich Quedlinburg, diese Stadt bleibt mir für eine
zukünftige Exkursion erhalten. In Gatersleben stoße ich dann wieder
auf den R1, dem ich ab jetzt etwas treuer folgen will. Allerdings tue ich das
prompt in die falsche Richtung, was mir zwar schnell seltsam vorkommt, aber
erst anderthalb Kilometer später so richtig auffällt. Nun ja, etwas
Verschnitt ist immer. Über Straßfurt bis Nienburg an der Saale folge
ich dem R1, der meistens recht gut ausgeschildert ist, hier übrigens wieder
mit dem gewohnten grünen Rad auf weißem Grund. Deutlich flacher fährt
es sich so ganz ohne Harzrand. Lange, schnurgerade Wege zwischen LPG-typischen,
riesigen, eintönigen Feldern hindurch. Rechts Stoppeln, links Rüben.
Oft Schotter mit Schlaglöchern oder Kolonnenwege mit geborstenen Betonplatten
dämpfen die Geschwindigkeit, aber massieren das Hinterteil.
Weit und breit keine andere Menschenseele zu sehen. Am späten Vormittag
hat die Sonne den Morgendunst weggebrannt, dann wird es warm. Wie im Wetterbericht
vorhergesagt, bläst der Wind nur schwach und aus wechselnden Richtungen
- später passiere ich einen Windmühlenpark, in dem die Rotoren unentschlossen
in die verschiedenen Himmelsrichtungen schauen.
Zwischen
Nienburg und Wulfen kürze ich den R1 abermals ab, der auch hier eine großzügige,
aber in meinen Augen gänzlich überflüssige Beule nach Süden
macht. Den letzten Rest bis Dessau bleibe ich weitgehend auf dem R1. Hinter
Aken stoße ich auf den recht neuen Elberadweg
mit seiner noch frischen Beschilderung. Ebenso sehe ich die ersten Sandsäcke;
erst vor drei Wochen ist hier die Scheitelwelle des Unglück bringenden
Elbehochwassers durchgegangen. Durch meine "Wegbegradigungen" bin
ich schon nach 110 km bei der JH Dessau angekommen, und weil keine touristischen
Sehenswürdigkeiten zwischendurch meine Aufmerksamkeit erforderten, bin
ich schon um 15.30 Uhr da. Die JH entpuppt sich als echter Schuppen mit Duschen
im Keller. Die Dame beim Empfang erinnert sich zu meiner großen Überraschung
an meinen Namen vom gestrigen Telefonat - kein Wunder, wie sich herausstellt,
ist die JH leer. Die Touristen bleiben wegen der Hochwasserkatastrophe noch
aus. Ein Großteil der Betten ist noch für freiwillige Überschwemmungs-Aufräumhelfer
reserviert, wird aber aktuell nicht (mehr) in Anspruch genommen.
Es
ist noch so früh, dass ich mir Dessau anschauen kann. Das "Welkulturerbe"
Bauhaus ist ein unansehnlicher Kasten, der nach 70er-Jahre-Architektur aussieht.
In der Tat ist das Gebäude 1926 fertiggestellt worden und muss damals tatsächlich
supermodern gewirkt haben. Die Gebäude der FH Anhalt in der Bauhausstraße
direkt dahinter finde ich viel interessanter. Die Innenstadt wirkt auf mich
eher hässlich. Die Straßen sind viel zu breit, der Marktplatz ist
zu groß und wird durch die paar Marktstände nicht belebt. Überall
eintönige Wohnkästen. Für einen Freitagnachmittag sind erstaunlich
wenig Menschen unterwegs. Ein paar Einkäufer habe ich dann im überdimensionierten
"Rathaus-Center" gefunden, sieht nach einer Wiedervereinigungssünde
aus.
Abendessen in einem etwas abseits gelegenen Restaurant auf dem Weg zurück
zur JH. Unterdessen haben sich dort doch noch zwei Überschwemmungshelfer
einquartiert. Um 21.30 Uhr trifft eine Rotte Pfadfinder aus Schleswig-Holstein
ein, die am Wochenende ihre tägliche gute Tat ebenfalls im Hochwassergebiet
verrichten wollen. Gar nicht so einfach, mal kurz irgendwo zu helfen - die Pfadis
haben irgendwie Kontakt mit einem Redakteur vom MDR aufgenommen, der sich dann
um eine Einsatzmöglichkeit gekümmert hat und gleichzeitig eine Reportage
darüber machen will. Als "Hilfsorganisator" war der Gruppe ein
Feuerwehrmann aus Nürnberg zugeteilt, der sich der Wichtigkeit seines Amtes
und seiner Aufgabe voll bewusst war. Einsatzort soll Waldersee sein, etwa 10
km östlich von Dessau, wo wohl immer noch landunter ist.
110 km, Netto-Durchschnitt 19,3 km/h (trotz Holperwege)
© Martin Taplick, 16.09.2002. Letzte Änderung am 08.03.2008